Manche Menschen wachsen an den Herausforderungen und Schicksalsschlägen, die ihnen das Leben stellt und entwickeln daraus eine größere Stärke. Chris Ebenbichler ist nach einem schweren Sportunfall nicht nur einen langen Leidensweg gegangen, sondern hat alle Erwartungen und Prognosen übertroffen. Sein Wissen gibt er heute an junge Athlet:innen weiter. In einem bewegenden Gespräch hat er uns in dieser Portrait Story über seinen langen Weg raus aus seiner Lebenskrise erzählt. Erfahre, wie ihn seine Reha-Zeit geprägt hat, welche Fehler die meisten Menschen in Krisen machen und welche Bewältigungsstrategien er empfiehlt.
Schicksalsschlag nach Skiunfall
Als professioneller Skiscrosser war Chris täglich schnell in den Bergen unterwegs, 2010 war er kurz davor, bei den Olympischen Spielen in Vancouver teilzunehmen. Ausgebremst von einer Verletzung musste er einen anderen Weg gehen, blieb jedoch passionierter Outdoor-Sportler, der weiterhin die Herausforderungen in der verschneiten Bergwelt suchte. So auch Jahre später, als er sich 2021 auf eine Skitour begab und sich auf den Weg zum Gipfel macht. Bei der Talabfahrt schießt Chris mit hoher Geschwindigkeit den Hang hinunter, kommt von der Strecke ab und prallt mit voller Wucht gegen einen Baum. Mit unmenschlichen Schmerzen und einem zertrümmerten Unterschenkel kommt er ins Krankenhaus. Haarscharf kann er sein Bein behalten, jedoch sind sich die Ärzte sicher, dass er nie wieder richtig gehen und schon gar nicht Skifahren können wird.
“Am Anfang war ich extrem niedergeschlagen, körperlich und mental. Meine Welt ist zerbrochen und ich habe gedacht, dass ich nichts mehr wert bin.”
Chris ist mit seinen Gedanken allein, sein Leben wurde schlagartig auf den Kopf gestellt. Es folgt eine jahrelange Reha mit 8 weiteren Operationen. Mentale Schwerstarbeit, die er mit Sportpsycholog: innen und seiner Familie durchsteht, lässt ihn wieder Hoffnung schöpfen. “Mein Vater war damals eine wichtige Ansprechperson. Er hat mir sehr geholfen, eine andere Sichtweise auf meine Situation zu entwickeln. Er war der Anstoß in den ersten Wochen, alles aufzuschreiben und zu dokumentieren, wie es mir geht und wie schlimm das alles ist. Er hat mich ermutigt, auch die kleinen Verbesserungen wahrzunehmen, die mir helfen und mich ein klein bisschen besser fühlen lassen.”
1000 Tage später schafft Chris mit viel Fleiß und Geduld das Unmögliche und steht mit Skiern wieder auf einem Berg. Raus aus der Krise zurück auf den Gipfel.
Neuanfang
Nach der Reha hat sich Chris entschieden seine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Durch seinen persönlichen Weg kann er sich nicht nur optimal auf negative Phasen eines anderen Athleten einstellen, sondern vor allem sein Wissen um Strategien weitergeben. Wichtig ist eine veränderte Sichtweise auf Probleme: „Bei Verletzungen, schlechten Ergebnissen oder in schwierigen Phasen einer Saison unterstütze ich Leistungssportler:innen dabei, eigene Strategien zu entwickeln und sich Schritt für Schritt aus einem Tief herauszuarbeiten.”
Arbeit im Olympiazentrum Tirol
Chris’ Ziel, verletzte Athlet:innen wieder auf Schiene zu kriegen, verfolgt er täglich mit mehreren Trainer:innen im Olympiazentrum Tirol in Innsbruck. “Wir begleiten fast 120 Athlet:innen, die wir auf knapp 20 Mitarbeiter: innen aufteilen. In der Laufbahn ab ca. 18 Jahren begleiten wir mit unserer Expertise in den verschiedenen Bereichen Physiotherapie, Sportwissenschaft, spezifisches Kraft- und Athletiktraining, Psychologie, Ernährungswissenschaft, Leistungsdiagnostik und medizinischen Diagnostik. All das gehört zum Leben eines:r Athleten:in dazu. Der Spirit im Olympiazentrum in Innsbruck ist super und es macht sehr viel Spaß dort mit allen zusammen zu arbeiten.”
Chris weiß, dass in diesen Jahren der Betreuung viel Persönlichkeitsentwicklung seiner Schützlinge stattfindet. Umso wichtiger sind in dieser Phase konstante Bezugspersonen. Jedem:r Athleten:in wird ein hauptverantwortlicher Coach zugeordnet, der für die individuelle Koordination und Planung zuständig ist und der sich den jeweiligen Support in den verschiedenen Bereichen holt. Chris betreut aktuell 14 Athlet:innen als hauptverantwortlicher Trainer. Dabei ist ihm im täglichen Umgang vor allem eins wichtig:
“Ich versuche bei allem, was ich sage und tue, meinem Gegenüber mit Empathie zu begegnen und sie oder ihn bestmöglich auf dem Weg zu begleiten.“
Dabei spielt auch der Umgang mit persönlichen Krisen und Verletzungen eine Rolle, in denen er seinen Athlet:innen nach Ruckschlägen Zukunftsaussichten aufzeigt. “In der Reha sieht man die Schritte und Verbesserungen oft besser als in einem normalen Trainingsprozess im Top Bereich. Hier sind die Schritte meist kleiner und feiner. Aus der Reha kommt man deshalb oft gestärkter heraus, weil man gesehen hat, was Fleiß und Disziplin bewirken und wie man sich wieder verbessert.”
Support von BLACKROLL® im Olympiazentrum in Innsbruck
Auch die Produkte von BLACKROLL® unterstützen bei den täglichen Athletik- und Krafttrainings. „Speziell das MULTI und SUPER BAND nehmen wir für Beweglichkeitsübungen im Warum-Up. Mit den Faszienrollen in unterschiedlichen Härtegraden und Größen sowie dem BALL gehen wir gezielt auf die Muskelverspannungen vor und nach den Trainingseinheiten ein.“
Tägliche Performance dank Routinen und Struktur im Alltag
Neben seinen Aufgaben als Trainer im Olympiazentrum Tirol ist der Sportwissenschaftler auch Dozent an der Universität Innsbruck. Dort lehrt er in den Bereichen Trainingsplanung und Trainingsperiodisierung sowie spezifisches Krafttraining. Zudem ist er Autor und hat sein eigenes Buch geschrieben, geht auf Tour und ist zu Gast in verschiedenen TV-Shows und Podcasts. Mit seinem Konzept der Krisenbewältigung ist er Speaker und hat eine eigene Firma gegründet. Jeder Tag ist durchstrukturiert.
“Bei all den verschiedenen Aufgaben ist für mich eins extrem wichtig: ein super Rhythmus, der auf mich abgestimmt ist. Schlaf ist bei mir das A und O, ich gehe immer um 22 Uhr ins Bett und stehe um 6 Uhr in der Früh auf. Immer. Wenn ich nach Abendveranstaltungen wie Vorträgen einmal spät ins Bett komme, merke ich das am nächsten Tag direkt.”
Auch Essgewohnheiten spielen eine zentrale Rolle. „5 Tage die Woche versuche ich nach 16 Uhr nichts mehr zu essen und intermittierend zu fasten. Mein eigener Kraft- und Athletikplan spielt auch eine große Rolle. Hier sind mir vor allem Rhythmus und einfache Basics Woche für Woche sehr wichtig.”
Woher kommt dieses Streben nach Routinen?
“Ich hatte im Ski-Gymnasium einen sehr guten Trainer, der selbst Leistungssportler war und sogar eine Olympia-Medaille gewinnen konnte. Er hat uns schon sehr früh vermittelt, wie wichtig Selbstwirksamkeit für einen erfolgreichen Trainingsprozess ist. Du selbst bist für dich verantwortlich.” Die Schüler:innen wurden in die Trainingsplanung mit einbezogen, lernten früh sich einzubringen. "Unsere Stundenpläne in der Schule und Studienzeiten wurden berücksichtigt und auch auf genügend Pausen und Zeit für Freunde geachtet. Das ist bei mir hängengeblieben und habe ich bis heute für mein eigenes Arbeiten übernommen.” Chris arbeitet mit System: Alles, was erledigt werden muss, schreibt er konsequent auf – um den Kopf frei zu bekommen und nichts zu vergessen.
Die Aufgaben ordnet er nach Dringlichkeit und Wichtigkeit. Unwichtiges wird nach hinten geschoben oder bewusst gestrichen. So bleibt der Fokus auf dem Wesentlichen.
Diese strukturierte Herangehensweise reduziert Stress erheblich, weil er nicht ständig alles im Kopf behalten muss.
Für Chris ist klar: Viele fühlen sich im Alltag überfordert, weil Aufgaben nicht klar priorisiert sind – und dadurch in Vergessenheit geraten. Mit geplanter Notizenführung und klar dokumentiertem Workflow nimmt er sich diese Denkarbeit ab. Genau diese Struktur ist auch in der Zusammenarbeit mit seinen Athlet:innen zentral – besonders in der Vorbereitung auf Großereignisse wie die Olympischen Spiele. „Ich will von jedem:r eine klare Liste mit allen Fakten und Aufgaben, die bis zum Tag X – dem Wettkampftag – erledigt sein müssen. Am Ende muss alles abgehakt sein. Niemand soll zurückblicken und denken: Hätte ich bloß ... .“ Für Chris steht das Event im Mittelpunkt. Damit Athlet:innen am entscheidenden Tag voll fokussiert und präsent sein können, braucht es im Vorfeld Struktur und Klarheit. Die Vorbereitung muss so präzise sein, dass im Moment der Leistung keine offenen Fragen mehr bleiben – nur der Fokus auf die Performance.
Keine Routinen ohne Ausnahmen: Auch Pausen, etwa im Urlaub, wo er einfach in den Tag lebt, sind wichtig, um die Balance zu halten. Keine Meetings. Keine To-Do-Listen. Alles auf null.
Krisenbewältigung
Schicksalsschläge wie eine Verletzung oder eine plötzliche berufliche Veränderung können in jedem Leben auftreten und richten die eigene Existenz meist völlig neu aus. Für Chris ist hier entscheidend, schnell aus der Opferrolle herauszukommen. “Handlungen verbessern die Situation. Es geht dabei um emotionsbezogene Akzeptanz: Ich fühle mich traurig, dann fange ich an etwas aufmunterndes zu tun, das gut für mich ist. Der Worstcase für mich wäre an dieser Stelle nichts zu machen und sich seiner Situation hinzugeben, liegen zu bleiben.
Wenn ich mit etwas nicht zufrieden bin, dann muss ich mich in Bewegung setzen. Ich bin schließlich kein Baum! (lacht).”
Jedoch können auch Situationen entstehen, die eine radikale Akzeptanz erfordern, wie Chris Skiunfall. Erst das Annehmen der eigenen (körperlichen) Grenzen öffnet den Raum, um sein Leben neu auszurichten und eine Vision für seine Zukunft zu entwerfen. “Ich sehe, es wird nie mehr so sein wie früher. Also muss ich mir einen anderen Weg suchen. Ich muss mir überlegen, was könnte ich machen?”
Chris Mobilität war nach dem Sportunfall komplett eingeschränkt, jedoch konnte er auf seine mentale Fähigkeit zugreifen. Er begann zu reflektieren. Der erste Schritt für ihn: Alles aufschreiben, was durch den Kopf geht. “Vielleicht kann ich irgendwann Menschen inspirieren, sich selbst aus einer schwierigen Situation rauszuarbeiten und zu befreien. Es ist vollkommen okay zu sagen: Es ist gerade alles unfassbar blöd. Aber es ist sehr wichtig, mich dann in Bewegung zu setzen und Schritt für Schritt vorwärtszukommen.”
Häufige Fehler
Vor allem sollte klar werden, dass dies nur über kleine Schritte möglich ist. Chris weiß:
„Der größte Fehler, den die meisten Menschen machen, ist zu schnell, zu große Schritte in eine bestimmte Richtung machen zu wollen”.
Morgens nach dem Aufstehen bewusst ein paar Atemzüge zu nehmen und damit besser als gestern in den Tag zu starten oder die ersten Seiten in einem neuen Buch zu lesen. Das sind für ihn kleine, aber entscheidende Beispiele, sich wieder langsam in Bewegung zu setzen.
„Früher war ich als Leistungssportler oft entweder in der Zukunft – mit dem Blick auf meine Ziele und darauf, worauf ich hintrainiere – oder in der Vergangenheit, wenn ich meinen bisherigen Weg, Erfolge und Niederlagen reflektiert habe. Doch dabei ging etwas Entscheidendes verloren: die Präsenz im Moment. Ich war selten wirklich im Hier und Jetzt. Das musste ich erst neu lernen, aktiv üben und bewusst in meinen Alltag integrieren."
Auch im Training mit den Athlet:innen ist das Verorten im Hier und Jetzt ein großer Bestandteil. Sollte der Fokus einmal nicht da sein, kann das Training auch zu einem späteren Zeitpunkt am Tag fortgesetzt werden. Chris ist dabei wichtig, auf den täglichen kleinen Fortschritt fokussiert zu sein und dabei eine bessere Haltung zu der aktuellen Situation aufzubauen.
Lebenskrisen in 5 Schritten meistern
Die Idee, das Buch „Wenn deine Welt zerbricht - Lebenskrisen in 5 Schritten meistern” über seinen Weg aus der Krise zu schreiben, war ein schleichender Prozess. In vielen Gesprächen hat Chris Ebenbichler gemerkt, dass sich Menschen für seine Geschichte interessieren. Vor allem, wie er es geschafft hat, seine ausweglose Situation zu verbessern. “Es war nicht geplant ein Buch zu schreiben. Zuerst wollte ich für meine Athlet:innen aufschreiben, was mir in meinen dunklen Tagen geholfen hat. Damit sie einen Anhaltspunkt haben, an dem sie sich orientieren können. Es sollte nachvollziehbar und praktikabel sein. Am Ende ist dann dieses Buch entstanden.” Ein Werk, das sich nicht nur an Leistungssportler:innen richtet.
Chris macht darin deutlich, “dass es keine ´Quick-Fix-Lösung´ gibt, die auf Knopfdruck alles verbessert.
Veränderung braucht Zeit – im Sport genauso wie im Alltag.
Man muss starten, dranbleiben und den Prozess annehmen. Viele Menschen glauben, sie müssten sofort perfekt sein. Doch genau dieser Druck blockiert oft mehr, als das er hilft. Stattdessen geht es darum, in kleinen Schritten voranzukommen, neue Erkenntnisse anzunehmen und daraus zu lernen. Genau das motiviert – weil Fortschritt spürbar wird.
Gerade jüngeren Athlet:innen sage ich oft: Lasst euch nicht stressen. Noch kein Champion ist vom Himmel gefallen. Entwicklung braucht Geduld, Energie und eine klare Investition über längere Zeit – im Training, im Job und im Leben.”
Diesen Weg hat Chris eindrucksvoll zurückgelegt und versucht ein Vorbild dafür zu sein, was der Mensch mit Fleiß, Disziplin und Willensstärke erreichen kann.
Bild 1 (Header) ©Max Draeger; Bild 2 ©Philipp Ausserhofer; Bild 3 ©Max Draeger; Bild 4,5,6 ©Olympiazentrum Tirol, Bild 7 ©Philipp Ausserhofer, Bild 8,9 ©Janine Brugger, Bild 10 ©Olympic Team Austria