Wer schlafwandelt, kann Außenstehenden einen ordentlichen Schrecken einjagen. Denn Betroffene sind zwar nicht ansprechbar, tapern aber oftmals in einem halbwachen Zustand mit offenen Augen und einem starren Gesichtsausdruck umher – und das häufig für Minuten. In der Regel ist Schlafwandeln zwar harmlos, wird aber dann gefährlich, wenn die nächtliche Aktivität die Betroffenen gefährden kann. Wir erklären in unserem Artikel, wieso manche Menschen schlafwandeln, wer besonders betroffen ist und wie sich die Auslöser reduzieren lassen.
Schlafwandeln wird in der Medizin auch Somnambulismus genannt. Das lateinische Wort „somnus“ bedeutet Schlaf, „ambulare“ wird mit „wandern“ übersetzt. Somnambulismus bezeichnet also ein Schlafverhalten, bei dem jemand während des Schlafs aufsteht und umhergeht, ohne sich dessen bewusst zu sein. Diese Episode kann wenige Sekunden dauern, aber auch Minuten anhalten – und in seltenen Fällen sogar für eine Stunde oder länger auftreten.
Nach dem Schlafwandeln tritt eine Art Amnesie auf
Beim Somnambulismus werden nur ganz bestimmte Bereiche des Gehirns aktiviert. Schlafwandler erwachen zwar nicht vollständig, aber die Bewegungsabläufe funktionieren und ermöglichen teilweise komplexe Handlungen, die von Aufstehen und Sitzen bis hin zu Gehen, Sprechen oder sogar Kochen reichen. Das Gehirn aktiviert also die Motorik, das Bewusstsein bleibt aber ausgeschaltet. Daraus resultiert eine Art Amnesie, also Gedächtnisverlust, durch die sich Schlafwandler am nächsten Morgen nicht mehr an die Ereignisse der Nacht erinnern können.
Obwohl die Augen während des Schlafwandels geöffnet sein können, sind Schlafwandler oft nicht ansprechbar. Spricht man einen Somnambulisten an, bekommt man entweder keine Antwort oder nur unverständliche, genuschelte Worte zu hören. Typisch für einen Schlafwandler ist auch der ausdruckslose Gesichtsausdruck und ein starrer Blick beim Umherirren.
Tiefschlafphase läutet Schlafwandeln ein
Typischerweise tritt das Phänomen des Schlafwandelns während der Tiefschlafphasen auf. Die erste beginnt etwa eine bis eineinhalb Stunden nach dem Einschlafen beim Übergang von der Non-REM-Phase in die Traumschlafphase, die als REM-Phase bezeichnet wird, weil die Augen währenddessen wild zucken (REM = Rapid Eye Movement).
Das Schlafwandeln oder auch der sogenannte Nachtschreck (pavor nocturnus), der ebenfalls zu den Parasomnien (Verhaltensweisen, die im Schlaf oder aus dem Schlaf heraus erfolgen) zählt, treten häufig im Kindesalter auf und können in einigen Fällen bis ins Erwachsenenalter fortbestehen.
Früher war die Annahme weit verbreitet, dass die Anziehungskraft des Vollmondes oder eine andere Lichtquelle verantwortlich fürs Schlafwandeln ist. Das Phänomen wurde deshalb sogar als Mondsucht bezeichnet. Dieser Mythos konnte inzwischen wissenschaftlich widerlegt werden. Auch wenn die Auslöser fürs Schlafwandeln bis heute nicht vollständig geklärt sind, ist bekannt, dass bestimmte Faktoren im Zusammenhang damit stehen.
In der Regel löst bereits ein einfacher Weckreiz die Aktivitäten in der Nacht aus, durch den der Betroffene aber nicht vollständig erwacht. Dafür reichen schon eine volle Blase oder laute Geräusche aus, die ins Bewusstsein der Betroffenen dringen. Wissenschaftler bezeichnen Schlafwandeln deshalb auch als Aufwachstörung.
Folgende Faktoren können das Risiko fürs Schlafwandeln erhöhen:
Schlafwandeln soll sehr wahrscheinlich eine genetische Komponente haben. 80 Prozent aller Schlafwandler haben laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) ein weiteres Mitglied in der Familie, das ebenfalls schlafwandelt.
Schlafwandeln tritt häufiger bei Kindern auf und kann mit der Entwicklung des Nervensystems und des Gehirns zusammenhängen. In sehr vielen Fällen verschwindet das Schlafwandeln spätestens im Laufe der Pubertät, kann jedoch auch im Erwachsenenalter fortbestehen.
Wer unter Schlafstörungen und Schlafmangel leidet, hat ein erhöhtes Risiko, schlafzuwandeln. Unregelmäßige Schlafzeiten, Schlafentzug oder Schlafstörungen wie Schlafapnoe können das Auftreten von Schlafwandeln zusätzlich begünstigen.
Stress, Angst, aufregende oder belastende Ereignisse und psychische Erkrankungen können das Risiko erhöhen, dass Menschen schlafwandeln.
Da Schlafwandeln in der Tiefschlafphase auftritt, können Faktoren, die zu einer Schlafvertiefung führen – wie der Konsum von Alkohol, Drogen, Schlafmittel oder Antidepressiva – das Risiko für Schlafwandeln ebenfalls erhöhen.
Schlafwandeln kann mit anderen Schlafstörungen wie nächtlichen Albträumen oder unruhigen Beinen (Restless-Legs-Syndrom) im Schlaf verbunden sein. Diese Störungen können das Risiko für Schlafwandeln erhöhen oder damit einhergehen.
Bei Kindern kann Schlafwandeln häufiger während Zeiten von somatischer Krankheit oder Fieber auftreten. Der genaue Zusammenhang zwischen körperlicher Krankheit und Schlafwandeln ist bislang jedoch nicht vollständig geklärt.
Wenn andere Menschen tief und fest schlafen, beginnt für Schlafwandler die aktive Zeit. Wir haben einige der häufigsten Symptome und Anzeichen zusammengefasst:
Laut DGSM sind nur ein Prozent der Erwachsenen in Deutschland vom Schlafwandeln betroffen. Weitaus häufiger kommt es bei Kindern und Jugendlichen vor. 15 bis 30 Prozent aller Kinder sollen demnach schon mal mindestens eine Episode Schlafwandeln erlebt haben, bei drei bis vier Prozent tritt es häufig auf. Nach dem 10. Lebensjahr nimmt die Häufigkeit allerdings deutlich ab und Schlafwandeln tritt meistens gar nicht mehr auf.
Erstmaliges Auftreten im Erwachsenenalter sehr selten
Wer bis dahin noch nicht geschlafwandelt hat, wird dies aller Voraussicht nach auch nicht mehr tun: Denn ein erstmaliges Auftreten im Jugend- oder Erwachsenenalter gilt als äußerst ungewöhnlich und wird meistens mit Fieber, außergewöhnlichen physischen oder psychischen Belastungen, Schlafentzug oder der Einnahme bestimmter Medikamente (wie Psychopharmaka) in Zusammenhang gebracht.
Vor allem die Anamnese spielt eine große Rolle bei der Diagnose des Schlafwandelns. Dabei geht es für den Arzt darum, die typischen Anzeichen zu erkennen. Eine gründliche Befragung, in der er Informationen über die Symptome einholt und die Häufigkeit, den Schweregrad, eine potenzielle Medikamenteneinnahme, Stressfaktoren, das Vorliegen von Schlafstörungen oder die medizinische Vorgeschichte des Schlafwandlers abfragt, kann dem Hausarzt/Kinderarzt, einem spezialisierten Schlafmediziner oder Neurologen gute erste Anhaltspunkte geben, um eine geeignete Diagnose zu stellen.
Eltern oder andere Angehörige können zudem für betroffene Kinder ein Schlafprotokoll führen, um Details über das Schlafverhalten – wie Einschlaf- und Aufwachzeiten, Häufigkeit des Schlafwandelns und begleitende Symptome – zu erfassen.
Im Rahmen einer Übernachtung im Schlaflabor kann eine Polysomnographie weiteren Aufschluss über das Schlafverhalten geben. Dabei werden verschiedene physiologische Parameter wie Gehirnaktivität (EEG), Augenbewegungen (EOG), Muskelaktivität (EMG), Atemfrequenz und Herzfrequenz während des Schlafs gemessen. Obwohl Schlafwandeln während einer Polysomnographie möglicherweise nicht immer aufgezeichnet wird, kann diese Studie dabei helfen, andere Schlafstörungen auszuschließen und den generellen Schlaf zu beurteilen.
Ob und wie Schlafwandeln behandelt wird, hängt vom Ausmaß, den Auslösern und individuellen Bedürfnissen des Betroffenen ab. In der Regel muss das reine Schlafwandeln nicht behandelt werden und ist auch nicht gefährlich. Dennoch ist es immens wichtig, eine sichere Umgebung zu schaffen, sodass sich der Schlafwandelnde bei seinen nächtlichen Aktivitäten nicht in Gefahr bringen kann.
Um das Verletzungsrisiko zu minimieren, sollten potenzielle Gefahrenquellen (wie Messer, Scheren, andere spitze Gegenstände) aus dem direkten Umfeld entfernt, Treppenauf- und Abgänge gesichert und Mechanismen installiert werden, die das unbewusste Öffnen der Fenster verhindern. Auch sollten sich keine Möbel oder Gegenstände mit Verletzungsgefahr sowie Stolperfallen auf dem Boden im Schlafzimmer befinden. Mit diesen Maßnahmen können Angehörige eine Person, die im Schlaf umher wandelt, optimal unterstützen.
Spezielle Schlafhygienemaßnahmen können als Präventionsmaßnahme dazu beitragen, dass es seltener zum Auftreten von Schlafwandeln kommt. Dazu zählt, einen regelmäßigen Schlafplan einzuhalten, Schlafentzug zu vermeiden und Stress und Angstzustände sowie Alkohol und koffeinhaltige Getränke vor dem Schlafengehen zu vermeiden.
Entspannungstechniken wie Atemübungen, Meditation oder Yoga können helfen, Stress abzubauen und das Schlafwandeln zu reduzieren.
Ist das Schlafwandeln mit anderen Schlafstörungen, psychischen Erkrankungen oder medizinischen Problemen verbunden, kann die Behandlung der Grunderkrankungen dabei helfen, es zu reduzieren.
Stress- und Konfliktsituationen, die Auslöser für das nächtliche Umherwandern sein können, lassen sich zudem im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie reduzieren.
In Ausnahmefällen können auch Medikamente wie Benzodiazepine oder Antidepressiva verschrieben werden. Die Einnahme darf aber ausschließlich unter ärztlicher Kontrolle erfolgen und behebt nicht die Ursachen, sondern behandelt lediglich die Symptome. Allerdings werden sie in der Regel nur in schwerwiegenden Fällen eingesetzt. Lasse dich umfassend von einem Arzt beraten, um zu klären, welche Maßnahmen für dich, deine Kinder oder andere Angehörige am besten geeignet sind.
Tipp: Wer nachts einem Schlafwandler gegenübersteht, sollte die betroffene Person nicht abrupt wecken (Notfälle ausgenommen), sondern sie ruhig ansprechen und mit beruhigenden Worten zurück ins Bett führen.
Grundsätzlich ist Schlafwandeln nicht gesundheitsgefährdend oder per se behandlungsbedürftig. Sofern Jugendliche allerdings erst nach dem 16. Lebensjahr mit dem Schlafwandeln beginnen, sollten die Ursachen ärztlich abgeklärt werden, um neurologische Erkrankungen oder psychische Ursachen zu diagnostizieren oder auszuschließen. Das gilt ebenfalls für Erwachsene ab dem 60. Lebensjahr, bei denen ein erstes Auftreten in dieser Lebensphase als äußerst ungewöhnlich gilt und deshalb ärztlich abgeklärt werden sollte.
Müdigkeit und Konzentrationsprobleme als Folge des Schlafwandelns
Da Schlafwandler einen leichteren Tiefschlaf als Nicht-Betroffene und dadurch auch einen unruhigen Schlaf haben, kann sich häufiges Schlafwandeln negativ auf den Alltag auswirken und mit Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten einhergehen. In diesen Fällen sollten Betroffene oder deren Eltern ärztlichen Rat suchen, um weitere Maßnahmen in Erwägung ziehen, die den Betroffenen eine bessere Schlafqualität ermöglichen.
Übrigens: Auch wenn sowohl Schlafwandeln als auch nächtliche Albträume (Nachtmahr) während des Schlafs auftreten und zu Schlafstörungen führen können, sind ihre Merkmale und Ursachen jedoch ganz unterschiedlich. Eine genaue Diagnose und angemessene Behandlung erfordern eine Unterscheidung zwischen den beiden Störungen durch einen medizinischen Fachmann.