Lebst du in der Großstadt? Dann ist dein Bedürfnis nach Natur bestimmt nochmal größer! Und das mit gutem Grund: Wissenschaftliche Studien belegen den Zusammenhang zwischen Stressabbau und Natur – Grün macht nachweislich gesund. Das ist übrigens schon länger bekannt. Bereits in den 1990er Jahren hat die Universität Göteborg (Schweden) den Zusammenhang zwischen grüner Umgebung und guter Gesundheit hergestellt. Patienten, so die damalige Untersuchung, erholten sich nach einer Operation schneller, wenn ihr Blick im Krankenbett auf viel Grün – Büsche & Bäume – schweifen konnte. Sie benötigten weniger Schmerzmitteln und zeigten sich auch von ihrer psychischen Verfassung her optimistischer, was ihre Genesung angeht.
Fast zeitgleich, exakt 1982, kam in Japan eine neue Bewegung auf, die das Forstwirtschaftsministerium initiiert hat: „Shinrin Yoku”, auf gut deutsch „Waldbaden”. Ursprünglich gedacht, um die Wälder intakt zu halten, hat sich die Richtung mittlerweile fast als Heilkunde etabliert. In der Nähe von Tokyo wurde ein Heilwald geschaffen, Millionen pilgern täglich dorthin und japanische Forschende konnten nachweisen, dass Waldbaden, so komisch der Begriff auch klingen mag, nichts Esoterisches ist, sondern der Wald ganz wesentlich zu deiner Regeneration und Erholung von Kopf, aber auch Muskeln beitragen kann. Heute können sich Ärzte in Japan spezialisieren und zum Facharzt Waldmedizin ausbilden lassen. Kein Wunder, dass der Trend allmählich von Ost nach West schwappt.
Die “Waldtherapie” ist eigentlich simpel. Es ist einfach, weil es auch ohne Anleitung gelingt: Du gehst in den Wald und versuchst nur die Bäume, die Farne, die Tiere, die Gerüche auf dich wirken zu lassen. Welche Vögel hörst du? Wie duftet es? Bist du schon mal barfuß über eine moosige Fläche gegangen? Oder hast eine Eiche umarmt? Weißt du, dass Buchen anders riechen als Eichen und Baumarten untereinander Duftstoffe austauschen und so miteinander kommunizieren? Das allein ist schon mega spannend! Wenn du dich auf einen Baumstamm setzt: Welche Käfer krabbeln um dich herum? Solche kleinen Beobachtungen bzw. Achtsamkeitsübungen im Wald führen dazu, dass du in die Atmosphäre des Waldes eintauchst und seine Schwingungen aufnimmst. Du vergisst deine eigenen Probleme, den Streit mit dem Freund, der Freundin, die Sorge um den Arbeitsplatz und vieles mehr treten in den Hintergrund – und das ist es, was Entspannung bedeutet: Loslassen. Einer der führenden Waldmediziner, Prof. Dr. Qing Li von der Universität Tokio, drückt es ganz schlicht aus:
„Waldbaden ist die Kunst, sich durch all unsere Sinne mit der Natur zu verbinden.”
Überall, wo es ein Fleckchen Wald gibt. Auch ein lockerer Spaziergang kann Waldbaden sein. Wenn du dabei allerdings einen Podcast hörst oder im lebhaften Streitgespräch deine Aufmerksamkeit absorbierst, gelingt das Eintauchen in die grüne Welt nicht wirklich. Ein bisschen Achtsamkeit im Gepäck wäre also nicht verkehrt. Aber du kannst dich in jedem Fall einfach treiben lassen. Sich in die Hängematte legen und den Blättern beim Tanzen zuzusehen, gilt übrigens auch schon als Waldbaden, wovon es viele, viele Formen gibt. Atem- oder Meditationskurse unter den Bäumen werden im weitesten Sinne auch noch dazugezählt, ja sogar ein Waldlauf kann gemeint sein. Doch im ureigentlichen Sinn bedeutet Waldbaden sich auf den Wald einlassen. Das gelingt mit und ohne Extra-Kurs. Vielleicht schärft es deine Sinne, wenn du das erste Mal mit einem Coach versuchst. Eventuell willst du es auch ein paar Male alleine probieren und nimmst dann für eine Fortbildung noch einen ausgebildeten Kursleiter in Anspruch. Zum Beispiel bietet Deutschlands bekanntester Waldliebhaber Peter Wohlleben in seiner Waldschule eine Ausbildung zum Waldführer an. Es gibt seit 2018 auch eine Akademie für Waldbaden & Gesundheit, diese ist in Rheinland-Pfalz ansässig und die erste Einrichtung in Deutschland, die Ausbildungen offeriert. Das Thema nimmt also Fahrt auf. Wenn du weitere Anregungen suchst: Auch der „Bundesverband Waldbaden” ist seit Februar 2019 aktiv. Er wurde unlängst vom Deutschen Forstzertifizierungsrat berufen, um an der Entwicklung von Standards für Kur- und Heilwälder mitzuarbeiten. Mit dem ersten deutschen Kurwald kann sich übrigens Usedom schmücken.
Mittlerweile existieren etliche Studien über die Heilsamkeit des Waldes. Die positiven Effekte stammen meist von den Terpenen, das sind sekundäre bioaktive Pflanzenstoffe, die unsere Abwehrkräfte stärken. Aber auch allein der Farbe Grün wird ein gesundheitsfördernder Effekt nachgesagt.
Damit sich die heilsamen Effekte aber auch einstellen, solltest du dir Zeit lassen. Japanische Forschende gehen davon aus, dass sich erst nach vier Stunden Aufenthalt eine gesundheitsförderliche Wirkung entfaltet.
Ganz allgemein gesprochen: In der Pause (genauso übrigens wie im Schlaf) startet der Körper seine Reparaturprozesse und schickt Botenstoffe dorthin, wo kleinere Heilungsmaßnahmen nötig sind. Aber auch für Sportler gilt: In der Pause wächst der Muskel und zeigen sich die Trainingseffekte. Deshalb ist es so wichtig, Pausen einzuplanen, damit dein Körper und Geist nach einem stressigen Tag buchstäblich auf den Reset-Knopf drücken kann. Waldbaden ist gelebte Gesundheitsvorsorge und trägt auf vielerlei Weise zur Entschleunigung bei.